Thomas Preston – Shin Ken Kendo und Iaido nach Tanaya Masami
Vortrag von Thomas M. Preston, 5. Dan, über Tanaya Masami und die Besonderheiten in unserem Iaido und Kendo anlässlich des Lehrgangs bei Budo Friedberg am 25.03.2017
Niedergeschrieben und sprachlich überarbeitet von seinem Schüler Sigmund Becker
„Neunzig Prozent der Japaner heute betreiben Föderations-Iaido. Als ich Iaido lernte gab es keine Föderation. Die Föderation ist erst Mitte der 70er Jahre entstanden. Viele Leute wollten sich nicht an der Föderation beteiligen, da man sich stets beugen und irgendetwas machen muss, was man nicht will, wenn man an einer Föderation teilnimmt. Andere wollten aber alles vereinigen und eine Iaido-Föderation haben.
Mein Lehrer Tanaya Sensei war 9. Dan in Iaido. Er war der Beste seiner Zeit. Sein Lehrer, Seito Sensei, war bereits verstorben, als Tanaya Sensei mir alles beigebracht hat. Auch ich musste mit sitzendem Iaido beginnen, was für mich eine Qual war, da die sitzende Stellung sehr schlecht für die Knie ist. Die Japaner haben sehr kurze Beine, wir und ich besonders jedoch relativ lange Beine, was eine viel höhere Hebelkraft auf die Knie bringt, wenn man sitzt. Tanaya Sensei hat mir zunächst sitzendes Iaido beigebracht. Dann bekam ich große Knieprobleme, aufgrund des täglichen Aikido-Trainings mit jeweils zwei Stunden Techniken im Sitzen und das über zwei Jahre hinweg. Daraufhin fragte ich ihn, ob er mir auch die von ihm gelehrten stehenden Techniken beibringen könnte. Das tat er gerne und brachte mir diese Techniken bei, welche ich euch beibringe.
Was ist sonst noch anders in unserem Iaido? Es gibt in Japan von Ortschaft zu Ortschaft sehr viele Unterschiede in Iaido. Der allergrößte Unterschied ist, dass viele eine ziehende und schneidende Technik ausführen. Tanaya Sensei war davon überzeugt, dass dies falsch ist. Man schneidet nicht mit einem Schwert. Ein Schwert ist wie eine Axt mit einer langen Schneide. Man schlägt stets mit einem Schwert. Das sollte allen klar sein. Wenn jemand eine Rüstung trägt, dann nutzt Schneiden nichts, da dies der Rüstung nichts ausmacht. Deshalb muss man, im Bewusstsein an ein japanisches Schlachtfeld mit Rüstungen, schlagen lernen. Tanaya Sensei war deshalb auch davon überzeugt, dass Schlagen stets Kime haben muss.
Bei den großen jährlichen Budo-Treffen im Butokuden Dojo in Kyoto Anfang Mai (das empfehle ich euch auch zu besuchen, wenn ihr nach Japan reist), bei denen ich mit ihm zusammen dort war, hat er mir gezeigt, dass 80 – 90 Prozent aller Teilnehmer schneidende und zu sich ziehende Techniken im Sitzen zeigten. Tanaya Sensei sagte, es ist wirklich schade, dass alles degeneriert und nicht mehr kampfecht ist. Wenn man kampfechte Techniken ausführen möchte, dann muss die Kraft egal bei welcher Technik in die Spitze gehen, und es muss stets ein Rückschlag erfolgen. Die Technik muss Kime haben. Kime ist das japanische Wort für den Augenblick, in dem die Finger geschlossen werden und die Kraft in die Spitze geht. Das gleiche gilt auch für Karate und für Kendo.
Unser Iaido ist damit sehr Kendo echt. Es basiert sehr auf Shin Ken Kendo. Man schlägt in beiden. Kendo hat relativ vereinfachte Techniken, da man Vieles in der Kendo-Rüstung nicht ausführen kann, was man in Iaido ausführt. In Kendo wird üblicherweise nicht gegen mehrere Gegner gekämpft, da dies schnell schlampig wird und Verletzungen bringt. In Kendo ist nur der Vorderteil des Körpers geschützt und nicht der Hinterteil, wie in einer echten Rüstung. Es wird relativ geregelt gekämpft und sich darauf konzentriert, wer aus welchem Abstand zuerst gewinnt. Iaido hingegen hat viele verschiedene Variationen, was man gegen Dies und Jenes und gegen mehrere Gegner macht. Dies ist in Kendo nicht der Fall. Dennoch basiert die Art und Weise wie man in Iaido schlägt darauf, wie man auch in Kendo schlägt. Die meisten machen das nicht. Noch dazu haben die Leute in Japan nicht genügend Zeit, alles zu üben. Außer die Polizisten. Sie haben genügend Zeit, Budo gründlich zu lernen. Sie praktizieren normalerweise Budo 6 bis 8 Stunden täglich. Das ist eine ganze Menge Arbeit, darin sind sie richtige Profis. Als Kendo-Lehrer bei der Polizei akzeptiert zu werden bedeutet, eine lange Probezeit durchzumachen und zu gewinnen. Man muss Erfolg haben. Zusätzlich kann man auch Iaido lernen wenn man will. Es ist jedoch keine Pflicht. Die Hauptsache für die Polizei ist Kendo.
Die Polizei-Lehrer meiner Zeit waren sehr gut in Shin Ken Kendo und Sport-Kendo – da Tanaya Sensei auch der Entwickler von Sport-Kendo war – und auch in Iaido. In Iaido unterscheiden sich jedoch die Stile teilweise. So unterscheiden sich zum Beispiel Nuke-to und Chiburi. Diese stilistischen Unterschiede sind jedoch nicht von besonderer Bedeutung. Das Problem dabei ist, dass die meisten Japaner die Iaido praktizieren, nicht die geringste Erfahrung im Vergleich zu Tanaya Sensei haben. Sie wissen nichts über die Geschichte von Iaido und wie das alles früher gemacht wurde, was er mir alles beigebracht hat. Sie kommen beruflich hier rüber, praktizieren nebenbei ein wenig Iaido und lehren es. Häufig machen sie daraus ein Geheimnis und stellen es so dar, dass es geheimnisvolle Schwerttechniken wären. Die von ihnen lernen denken dann, sie hätten den magischen Schwerkampf gelernt und dass dies das einzig Wahre sei und alles andere Quatsch wäre. Sie neigen dazu, alles was sie nicht kennen als Quatsch darzustellen, was überhaupt nicht wahr ist.
Japan hatte in der Feudalzeit 55 verschiedene Clans. Jeder Clan hatte seine Art von Schwertkampf. Diese waren alle unterschiedlich. Nur Kendo hat sich in 1870 oder 1880 in der Japanischen Kendo Föderation vereinigt. Auch hier wollten viele Leute nicht mitmachen. Sie wollten ihr ursprüngliches Kendo weiter betreiben. Sie wollten nicht unter einer anderen Gruppe eine weniger wichtige Rolle einnehmen. Als dann das japanische Militär moderne Waffen entdeckt hat sagten sie, wir gewinnen nicht mit Schwertern, sondern wir müssen jetzt mit Panzern und Flugzeugen umgehen lernen. Wir haben keine Zeit mehr für Schwerter. Daraufhin sagte die Polizei, wir übernehmen Kendo und Iaido, wir übernehmen Schwertkampf, denn in unserer Rolle als Ordnungshüter ist das noch nützlich. Man kann ein Bokuto oder einen Stock nehmen und kann das Volk geordnet halten. Das kann man nicht mit Kanonen und Flugzeugen. Dann hat aber das Militär gesehen, wenn Soldaten nur moderne Waffen betätigen, dann entwickeln sie auch keinen Mut, keine Fitness und andere Dinge, die man bei Kendo und Judo gelernt hat. Daraufhin kamen sie wieder zurück und sagten, wir machen auch Kendo und Judo, aber ein wenig anders als die Polizei.
So kam es dann in die moderne Zeit, in der MacArthur sozusagen Japan erobert und alles verboten hat. Er wollte keinen Widerstand und keine Gruppen, die Amerikaner töten und Widerstand leisten. Deswegen war alles verboten. Tanaya Sensei hat daraufhin mit Benjamin Hazard, einem führenden amerikanischen Soldaten, der sehr von Budo und westlichem Schwertkampf fasziniert war, Sportkendo entwickelt. Das erste Sportkendo war ohne Rüstung mit sehr flexiblen Shinais. Es war keine besonders hübsche Sache. Allmählich haben sie dann das moderne Sportkendo entwickelt, bei dem man eine Rüstung trägt, nicht fest schlägt, nicht wirft, nicht auf die Ohren schlägt und viele sterilisierte Techniken ausführt, die nicht so gemein wie Shin Ken Kendo vor dem Krieg waren.
Ich wollte von Tanaya Sensei auch Shin Ken Kendo lernen, was er mir dann auch beigebracht hat. Das ist das, was ich euch beibringe. Das heißt nicht, dass Sportkendo schlecht ist. Es ist ein schöner Sport, es macht Spaß und man kann es ohne Schmerzen ausüben, was vielen gefällt. Ich war immer an echtem Schwertkampf interessiert. Deshalb habe ich beides geübt. Denn wer in Japan ein breites Spektrum an Kämpfern erleben will, musst Sportkendo betreiben. Sportkendo ist das, was zu 99 % auf der Welt angetroffen wird. Wer Shin Ken Kendo macht gilt dann als brutal und bösartig. Das ist aber nicht wahr. Derjenige sucht halt einen kampfechten Schwertkampf zu erhalten.
Deswegen ist auch unser Iaido anders. Nicht weil wir nicht wissen was Iaido sein soll, wie manche behaupten, sondern wir wissen genau was Iaido sein soll. Und das auch seit langem von dem Allerbesten, von Tanaya Sensei. Aber viele kennen Tanaya Sensei überhaupt nicht. Sie kennen nur ihren Lehrer, der mal zu Besuch gekommen ist. Das ist schade, denn Toleranz sollte auch zu Budo gehören. Wir sind auch tolerant. Jeder ist herzlich willkommen, der sich korrekt benimmt und unsere Art und Weise kennenlernen will. Nur was immer wieder geschieht ist, dass Leute kommen und bei uns ihr Iaido praktizieren wollen. Was hat das für einen Sinn, sich nur darstellen zu wollen? Sie wollen einen Platz haben, wo sie üben können. Das erlaube ich nicht, denn es bringt uns nichts. Es schadet nicht zu sehen, was andere Leute machen – gern, natürlich. Aber unser Iaido ist unser Iaido und wir machen es auf unsere Weise. Das gleiche gilt für Kendo. Wenn Leute zu uns kommen und Sportkendo machen wollen, sage ich nein. Sie müssen ein Fukuro Shinai benutzen und sich damit abfinden, dass es weh tut, dass man auch geworfen werden kann und überall geschlagen wird. Meistens sagen sie, aber das ist nicht Kendo. Das ist ihre Meinung. Aber ich war 15 Jahre in Japan und habe schon 50 Jahre Kendo hinter mir. Ich glaube, ich weiß ein wenig darüber, was Kendo ist. Die meisten haben diese Erfahrung nicht. Sie sprechen auch nicht Japanisch. Aber sogar die meisten Japaner seit 1945 kennen nur Sportkendo. Insofern würden auch sogar die meisten Japaner sagen, das ist nicht Kendo, da sie es gar nicht kennen. Nur diejenigen Japaner, die Kendo vor dem Krieg praktiziert haben, kennen unsere Art von Kendo. Sie haben Angst davor, da sie wissen, dass es eine harte Sache war. Dennoch versuchen wir es nicht hart zu machen, sondern nur kampfecht.“